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Der legitime Jubel über den historischen Triumph von Rafael Nadal am Sonntag bei den Australian Open war so überbordend, dass die Worte des Unterlegenen ein wenig untergingen. Dies allerdings vollkommen zu Unrecht! Auch zwei Tage nach der denkwürdigen Pressekonferenz des charismatischen Russen lohnt sich ein genauerer Blick auf seine brisanten Aussagen.
Sätze wie: Heute sei einer der Momente gewesen, „in denen das Kind aufgehört hat zu träumen“, machten deutlich, wie sehr den Weltranglistenzweiten die Anfeindungen und die fehlende Unterstützung der Fans in der Rod Laver Arena getroffen hatten. Medvedev machte vor der versammelten Weltpresse keinen Hehl daraus, welche seelischen Schmerzen, Wut und Desillusionierung das mitunter sehr unfaire Verhalten des Publikums bei ihm hinterlassen haben.
Medvedev stellt Karriereende mit 30 Jahren in den Raum
„Es ist respektlos, es ist enttäuschend. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit 30 Jahren noch Tennis spielen will“, sagte der sichtlich verletzte US-Open-Champion. „Von nun an spiele ich für mich selbst, für meine Familie, um diese zu versorgen, für die Menschen, die mir vertrauen, und natürlich für alle Russen, weil ich dort viel Unterstützung verspüre“, fuhr Medvedev fort.
Seine Nationalität sei einer der Hauptgründe dafür, warum ihm die gewünschte Anerkennung häufig verwehrt bleiben würde, betonte der 25-Jährige aus Moskau. „Ich erkenne auf jeden Fall, wenn man gegen jemanden aus einem anderen Land spielt, dass die Fans für ihn sind und nicht für einen Russen“, so Medvedev. Deshalb schrecke er auch nicht vor drastischen Entscheidungen zurück. „Wenn es ein Hartplatzturnier in Moskau vor Roland Garros oder Wimbledon gibt, werde ich dorthin fahren, auch wenn ich Wimbledon oder Roland Garros dann verpasse“, deutete der ATP Finals Champion von 2020 an.
Deshalb hat Medvedev Recht – und deshalb nicht
Hat Medvedev Recht mit seiner Auffassung? Ja und nein! Richtig ist, dass Spieler und Spielerinnen aus dem osteuropäischen Raum bereits seit Jahrzehnten nicht dieselbe Anerkennung und Unterstützung zuteil wird wie vergleichbar erfolgreichen Profis aus der westlichen Welt. Das bekam in seiner Karriere keiner so deutlich zu spüren wie Novak Djokovic – besonders vor wenigen Wochen bei der Einreise- und Impfposse vor den Australian Open!
Ursächlich dafür sind neben kulturellen Unterschieden vor allem politische Differenzen, die weit über das Tennis und den Sport hinausgehen. Diese oft festgefahrenen Denkmuster und Stereotypen werden dann in den Stadien häufig emotional und unter der Gürtellinie ausgelebt. Dass die Grand-Slam-Turniere in Melbourne, Paris, London und New York stattfinden und nicht etwa in Moskau oder Peking, verstärkt diesen Effekt natürlich noch.
Medvedev sollte allerdings auch nicht außer Acht lassen, dass sich lebende Legenden wie Roger Federer oder im aktuellen Fall Rafael Nadal diesen Status aufgrund ihrer herausragenden Errungenschaften und ihres Sportsgeistes über viele Jahre erarbeitet und verdient haben. Die Fans unterstützen mit ihren Emotionen zumeist also vornehmlich die Superstars und sind nicht darauf aus, die vermeintlich unbeliebten Osteuropäer zu diskreditieren. Natürlich gilt dies nicht für alle. Unfaire Störgeräusche zwischen dem ersten und zweiten Aufschlag sowie Jubelschreie nach Doppelfehlern sind selbstverständlich nicht zu entschuldigen. Echte Fans machen so etwas nicht!
Djokovic und Medvedev können starke Vorbilder sein
Großartige Spieler wie Medvedev und Djokovic sollten sich also nicht gegen das Publikum auflehnen und in die Protesthaltung verfallen: Wir benachteiligten Russen und Serben gegen den Rest der Welt. Sondern die Vorurteile, das Schubladendenken und die verhärteten Fronten mit Witz, Charme, Authentizität, Ehrlichkeit und Selbstironie auflockern. Menschlich ist es natürlich vollkommen nachvollziehbar, dass Medvedev verletzt und enttäuscht ist. Doch der smarte Russe und auch Novak Djokovic sind intelligent genug, um die Gesamtzusammenhänge zu verstehen. Es wäre schön, wenn sie mit zunehmender Reife und dem nötigen Weitblick ihre Wut und ihren Schmerz in eine umarmende, versöhnliche Haltung umwandeln. Damit können sie mehr bewirken als die vielen Dogmatiker, die sich aus falschem Stolz und Borniertheit im Kreis drehen.
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(Bild (c) IMAGO/ Shutterstock)
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